Okay, liebe Geschichtenerzähler*innen, heute geht’s um die dritte Person und die feine Linie zwischen „subjektiv“ und „objektiv“.
Die Personale Perspektive in der 3. Person (sie schaut aus dem Fenster, er kocht Kaffee), bietet dir große erzählerische und stilistische Freiheit.
Aber wie es oft ist mit der Freiheit - sie fordert Entscheidungen. Aber wofür oder wogegen?
Wenn du in der 3. Person schreibst, musst du immer wieder entscheiden, wie nah du die Lesenden an die Figur herankommen lassen willst. Wenn sie ganz in die Figur hineinschlüpfen können, sprechen wir von subjektivem Erzählen, wenn sie die Figur nur von außen sehen, hören und wahrnehmen, sprechen wir von objektivem Erzählen.
Du kannst dir eine Skala vorstellen, auf der du dich erzählend bewegen kannst, ganz links steht SUBJEKTIV, ganz rechts steht OBJEKTIV. Und irgendwo dazwischen bewegt sich dein Erzählen. Mal lässt du uns näher heran an die Figur, mal hältst du uns auf Abstand. Aber Achtung: Wenn du von einem Extrem zum anderen wechselt, wird uns Lesenden schwindelig.
Lege einen Bereich auf dieser Skala fest, auf der du dich bewegst: lieber näher am Subjektiv-Extrem? In der Mitte? Oder lieber auf der Objektiv-Seite?
Jetzt klären wir erstmal die Extreme:
Objektives Erzählen - Den Beobachtungsposten nicht verlassen!
Objektiv zu erzählen heißt: Du beschreibst Figuren und Situationen von außen. Du kannst weder Gefühle benennen noch Gedanken, Haltungen oder Motive der Figur beschreiben. Und da gibt es auch keine Erzählerin, die ihren eigenen Senf zur Sache gibt. Warum? Weil die Erzähl-Instanz außen und unsichtbar bleibt.
Stell dir das wie eine Naturdoku vor ohne Ton vor. Unsere Erzählerin beobachtet das Verhalten der Tiere (Figuren), nimmt ihre Taten und Worte wahr, vielleicht ein bisschen die Körpersprache, aber: Sie macht keine Bewertung. Wir wissen nicht mehr, als die bloße Beobachtung.
Beispiel objektives Erzählen:
„Lara ging zur Tür, blickte sich kurz um. Ihre Hände zitterten leicht, als sie den Schlüssel umdrehte.“
In diesem objektiven Stil sind wir keine allwissenden Geister und haben keinen direkten Zugang zu Laras Gedanken oder Gefühlen. Alles, was wir wissen, kommt durch Beobachtung zustande. Die unsichtbare Erzählerin sitzt auf dem Beobachtungsposten und gibt in Worten wieder, was Lara tut - ungefähr so, wie wir in der Schule Bilder oder physikalische Experimente beschreiben mussten. Weißt du noch?
Keine Meinung, keine Interpretation, keine Schlussfolgerung.
Subjektives Erzählen - Komm ruhig näher ran!
Subjektiv zu erzählen in der dritten Person bedeutet, dass du die Erzählstimme in das Innere der Figur pflanzt. Eine streng subjektive Perspektive funktioniert wie eine Ich-Perspektive, nur dass wir hier die grammatische Form der 3. Person verwenden.
Hier kannst du in die Gedanken und Gefühle der Figur eintauchen, kannst erzählen, was in ihrem Inneren vorgeht, wie sie eine Situation einschätzt oder was sie gedenkt zu tun. Die Erzählerin wird zur Verbündeten der Figur und zeigt uns die Welt durch ihre Augen.
Beispiel subjektives Erzählen:
„Lara ging zur Tür, spürte den kalten Schauer in ihrem Nacken und blickte sich um. Sie ahnte nichts Gutes. Was, wenn jemand dahinter stand? Schnell drehte sie den Schlüssel im Schloss und hoffte, das Rumpeln in ihrer Brust würde bald aufhören.“
Hier sehen wir, was in Laras Kopf vorgeht, erleben ihre Sorge, spüren ihre Angst. Die Erzählerin gewährt uns „Zutritt“ zu Laras Innenleben und zeigt uns, wie sie sich fühlt und was sie denkt.
Das ist subjektiv und bringt uns der Figur emotional näher – perfekt, wenn wir eine intensive Bindung zur Figur aufbauen wollen.
Zwischen Nähe und Distanz
Die Regel lautet also:
Je mehr Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Figur, desto subjektiver wird es. Aber: Auch die Wortwahl ist ein verräterisches Detail. In der objektiven Perspektive bleibt die Wortwahl neutral, während ein subjektiver Erzähler oft mehr Adjektive und stimmungsvolle Begriffe verwendet. Wenn unsere Erzählerin also anfängt, das Herz „hämmern“ oder das Gefühl „kribbeln“ zu lassen, wird er spürbar subjektiv. Wenn dagegen nur das Blutdruckmessgerät eine hohe Zahl anzeigt, ist es objektiv.
Vergleiche:
• Objektiv: „Lara drehte den Schlüssel um. Der Riegel rastete ein.“
• Subjektiv: „Lara drehte den Schlüssel. In ihren Ohren sauste die Panik. Endlich klickte der Riegel ins Schloss.“
Wann erzählst du subjektiv?
Subjektives Erzählen in der dritten Person bedeutet, dass der Erzähler eine Nähe zur Figur einnimmt und uns Einblick in ihre Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen gibt. Dadurch fiebern wir voll mit der Figur mit, fast so als wenn es um uns selbst ginge.
Hier sind einige Situationen, in denen das subjektive Erzählen besonders effektiv ist:
1. Tiefe Einblicke in die Gedankenwelt einer Figur:
Wenn es wichtig ist, dass die Leser*innen die inneren Konflikte, Ängste oder Hoffnungen einer Figur verstehen, bringt ein subjektiver Stil die notwendige Nähe. Wir sehen und fühlen die Welt aus der Perspektive der Figur, wodurch ihre Emotionen authentischer und intensiver wirken.
2. Spannung und emotionale Intensität steigern:
In aufregenden oder dramatischen Momenten – etwa, wenn eine Figur in Gefahr ist oder eine bedeutende Entscheidung treffen muss – kann subjektives Erzählen die Spannung verstärken. Subjektives Erzählen kann das Herzrasen, die Zweifel und das Zittern der Figur spürbar machen, sodass die Leser*innen diesen Moment hautnah miterleben.
3. Charakterentwicklung aufzeigen:
Subjektive Erzählung kann zeigen, wie sich eine Figur im Verlauf der Geschichte verändert. Durch ihren Blick auf die Welt, ihre Reaktionen und inneren Monologe erfahren die Leser*innen, wie sie wächst oder sich neu orientiert. Diese Perspektive erlaubt es, subtile Entwicklungen und Veränderungen in ihrer Denkweise darzustellen.
Wann erzählst du lieber objektiv?
Beim objektiven Erzählen bleibt die Erzählstimme distanziert und beschreibt das Geschehen ohne tiefergehende Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Figuren.
Objektives Erzählen ist hilfreich in den folgenden Fällen:
1. Neutralität bewahren:
Wenn ein nüchterner, unvoreingenommener Blick erforderlich ist – etwa in Szenen mit vielen Figuren oder bei Beobachtungen – hilft der objektive Stil, den Überblick zu behalten. Leser*innen können das Geschehen selbst bewerten, ohne durch die Sichtweise einer Figur beeinflusst zu werden.
2. Informationen zurückhalten und Spannung aufbauen:
Oft möchte man als Autorin nicht zu viel über die Gefühle oder Gedanken einer Figur verraten, um das Mysterium aufrechtzuerhalten. Ein objektiver Erzähler bleibt an der Oberfläche und gibt den Leserinnen nur visuelle und dialogische Hinweise. Das eignet sich besonders gut für Thriller, Krimis oder Erzählungen mit einer unklaren, spannungsgeladenen Dynamik.
3. Distanz schaffen und Überblick behalten:
Manchmal ist es besser, das „große Ganze“ einer Szene oder eines Settings objektiv darzustellen, anstatt sich in einer einzelnen Figur zu verlieren. Bei komplexen, ereignisreichen Szenen, etwa in einer Kampfszene oder auf einer großen Feier, kann der objektive Stil helfen, mehrere Perspektiven aufrechtzuerhalten, ohne zu tief in eine Figur abzutauchen.
Komm her! Bleib mir vom Leib!
Die Kunst besteht darin, die Subjektivität oder Objektivität beim Erzählen zu variieren, ohne radikal zwischen Innen und Außen hin- und herzuspringen.
Der Stilwechsel kann fließend erfolgen – etwa, wenn man von einem eher objektiven Beschreiben der Szenerie langsam in die Gedankenwelt einer Figur eintaucht.
Ein Beispiel für einen sanften Übergang:
Du beginnst eine Szene objektiv und beschreibst, wie eine Figur die Straße entlanggeht, bis sie vor einem Haus stehen bleibt. Dann wird es subjektiver, indem du beschreibst, was die Figur fühlt, als sie auf die Tür starrt und sich an die Ereignisse erinnert, die sie hier erlebt hat.
"Lara überquerte die Straße zwischen den hupenden Autos, steuerte auf das gelbe Haus zu, die Tür fest im Blick. Wie lange sie nicht mehr hier gewesen war. Plötzlich spürte sie einen Kloß im Hals. Sie hätte nicht herkommen sollen!"
Ein schneller Wechsel vom einen Extrem ins andere kann hingegen verwirrend wirken. Zum Beispiel könnte es für die Leserinnen irritierend sein, wenn ein objektiver Erzähler plötzlich mitten in einer Szene direkt in die intensive Gefühlswelt einer Figur springt. Stattdessen hilft es, den Wechsel fließend zu gestalten und beide Erzählweisen so abzustimmen, dass die Leserinnen Schritt für Schritt von außen nach innen – oder umgekehrt – mitgenommen werden.
Es kann auch immer hilfreich sein, wenn du dir selbst Regeln gibst, in welchen Augenblicken du eher objektiv bleibst und wann du näher heranzoomst.
Full Service oder Do it yourself?
Subjektiv und objektiv erzählen ist keine Unterscheidung in Richtung und Falsch, in Gut und Schlecht. Es ist eine Frage dessen, was du bewirken willst.
Subjektives Erzählen nimmt die Lesenden an die Hand und zeigt genau, worauf es emotional und bildhaft ankommt: Fühl jetzt das! Schau jetzt dorthin! Das ist es, was du jetzt wissen musst! ("Sie hatte solche Angst vor den Schritten hinter sich, dass sie die Straßenseite wechselte" - Bibber. Schlotter.)
Beim objektiven Erzählen forderst du die Lebenserfahrung und Interpretationsfähigkeit der Lesenden heraus. Du zeigst ihnen Situationen und Figuren und gehst davon aus, dass die Lesenden selbst verstehen, was das jetzt gerade im gesamten Zusammenhang zu bedeuten hat ("Hinter ihre: Schritte. Sie wechselte die Straßenseite" - ah, ist ja klar, warum die jetzt die Straßenseite wechselt! Hätte ich auch so gemacht.)
Kleines Fazit - Immer schön cool bleiben? Oder lieber hot! hot! hot!?
Am Ende gilt: Wenn du die Distanz willst, wähle objektiv und bleib nüchtern. Wenn du die Spannung und Nähe willst, dann tauch in die subjektive dritte Person ab.
Der Kniff liegt darin, beweglich zu bleiben und die Lesenden mal aufzufordern selbst aktiv das Erzählte zu interpretieren, mal sie mit allem zu versorgen, dass sie ganz in der Story versinken können.
So wird deine Geschichte zu einem ganzheitlichen Lesevergnügen für Verstand und Herz!
(by the way: Das Bild oben ist mit KI generiert)
Kommentar schreiben